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Durch Mursis Sturz gerät die islamistische Strategie Washingtons in eine Krise - Die Proteste in Ägypten waren auch gegen die USA gerichtet

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Von F. William Engdahl
Global Research, 04.07.13

Das schnelle Eingreifen der ägyptischen Militärs am 3. Juli und die Inhaftierung Mohammed Mursis und anderer Schlüsselfiguren der Muslimbruderschaft ist ein gewaltiger Rückschlag für die US-Strategie des "Arabischen Frühlings", mit der Washington unter Ausnutzung fanatisierter Islamisten von China über Russland bis in den energiereichen Mittleren Osten Verwirrung stiften wollte. Mursi wies die Behauptung des ägyptischen Verteidigungsministers, er habe sein Amt aufgegeben, um ein Blutbad zu verhindern, zurück, verlangte die Achtung, die ihm nach der Verfassung zusteht, und forderte die Armee auf, ihr Ultimatum zurückzunehmen. Für zukünftige Historiker könnte sich dieses Ereignis als der Wendepunkt erweisen, ab dem die USA ihre Rolle als einzige Supermacht zu verlieren begann.

Karikatur:© Kostas Koufogiorgos, www.koufogiorgos.de
Ein Jahr, nachdem die undurchsichtige Muslimbruderschaft in Ägypten an die Macht gelangte (s. hier), mit Mohammed Mursi einen der ihren zum Präsidenten machte und sich die Mehrheit im Parlament sicherte, gingen Millionen Ägypter wegen der beabsichtigten Einführung der Scharia (des islamischen Rechts,) und der großen wirtschaftlichen Probleme auf die Straße – bis das ägyptische Militär erneut eingriff. Der Putsch fand unter Führung des Verteidigungsministers und Armeechefs General Abdel Fattah al-Sissi statt. Es ist wichtig, zu wissen, dass al-Sissi ein gläubiger Moslem ist, den Mursi erst im letzten Jahr noch relativ jung zum General ernannt hat. Er wurde in Washington ausgebildet und auch vom Pentagon sehr geschätzt. Dass ausgerechnet er geputscht hat, zeigt, wie sehr die Ägypter die Muslimbruderschaft inzwischen ablehnen. Al-Sissi gab am Mittwochabend, dem 3. Juli, bekannt, der Vorsitzende Richter des Verfassungsgerichts werde vorübergehend als Präsident amtieren und eine Übergangsregierung aus Technokraten bilden, die bis zu baldmöglichst anberaumten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen die Geschäfte führe. Er tat das im Beisein führender Repräsentanten der Christen, der weltlichen Opposition und der Muslime. Al-Sissi sagte, die Bemühungen der Armee, einen nationalen Dialog und die Versöhnung aller Gruppierungen herbeizuführen, seien allgemein begrüßt und nur von Präsident Mursi und seiner Muslimbruderschaft abgelehnt worden.

Die Empörung der Ägypter richtete sich auch gegen die USA

Der vielleicht bedeutendste Aspekt der Massenproteste der letzten Wochen, die in der Entscheidung der Militärs kulminierten, erneut die Kontrolle zu übernehmen, war, dass sie eindeutig auch gegen Washington gerichtet waren. Viele Demonstranten trugen handgefertigte Plakate, auf denen Obama und seine in Kairo residierende Botschafterin Anne Patterson kritisiert wurden, weil sie einseitig Partei für die Mulsimbruderschaft ergriffen.

Die Proteste richteten sich ausdrücklich auch gegen Anne Patterson, die US-Botschafterin in Kairo. Frau Patterson hatte noch am 18. Juni die gegen Mursi protestierenden Ägypter kritisiert. Sie tönte: "Einige behaupten, Proteste auf der Straße führten zu besseren Ergebnissen als Wahlen. Ehrlich gesagt, meine Regierung und ich sind da sehr skeptisch." In einem längeren Interview in der Online-Ausgabe der ägyptischen Zeitung Al-Ahram im Mai vermied die US-Diplomatin jede Kritik an Mursi und stellte fest: "Tatsache ist, dass er eine legitime Wahl gewonnen hat. Natürlich ist es immer schwierig, sich auf eine neue Regierung einzustellen. Aber auf der Ebene der staatlichen Institutionen haben wir es immer noch mit den gleichen Militärs und Beamten zu tun, zu denen wir seit langem beste Beziehungen unterhalten." [1]

Die Intervention der (ägyptischen) Militärs erfolgte auch gegen den ausdrücklichen Wunsch des US-Präsidenten Obama und seines Generalstabschefs, des Generals Martin Dempsey. Obama hatte mit dem ägyptischen Präsidenten (Mursi) und Dempsey mit General Sedki Sobhi, dem Chef des ägyptischen Generalstabs, in der Hoffnung telefoniert, die dreiseitige Krise zwischen dem Regime, der Armee und der Protestbewegung noch beilegen zu können. Jetzt steht Obama wie ein begossener Pudel da. [2]

Bedeutsam ist auch, dass der saudische König Abdullah und die Chefs der konservativen Vereinigten Arabischen Emirate / UAE die Intervention der ägyptischen Militärs ausdrücklich begrüßt haben – mit der bemerkenswerten Ausnahme des Emirs von Katar, der als einziger die Muslimbruderschaft unterstützt. SPA, die staatliche Nachrichtenagentur Saudi-Arabiens, verbreitete das offizielle Statement des Königs: "Im Namen der Bevölkerung von Saudi-Arabien und auch in meinem Namen gratulieren wir denen, die in dieser kritischen Periode in der Geschichte Ägyptens die Führung übernommen haben. Wir beten zu Gott, dass er ihnen helfen möge, die übernommene Verantwortung zu tragen und den Forderungen unseres ägyptischen Brudervolkes gerecht zu werden." [3]

Ein Kreisen der Armee und der Geheimdienste Israels nahestehender Blog berichtete, das ägyptische Militär habe mit stillschweigender Unterstützung Saudi-Arabiens und anderer konservativer Golfstaaten gehandelt. In dem Bericht ist auch zu lesen, dass Saudi-Arabien und die UAE der ägyptischen Armee den Fehlbetrag im Militärhaushalt ersetzen würden, falls die Obama-Administration die jährliche US-Militärhilfe für Ägypten in Höhe von 1,3 Milliarden Dollar einstellt. Darin steht auch: "Die Saudis, die UAE und andere Golfstaaten wie Bahrain und Kuwait werden ab sofort große Summen aufwenden, um die ägyptische Wirtschaft anzukurbeln. Damit soll den ägyptischen Volksmassen gezeigt werden, dass ihnen eine funktionierende Wirtschaft einen minimalen Lebensstandard sichern und den Hunger beseitigen kann, den viele unter der Herrschaft der Muslimbruderschaft leiden mussten. Nach unseren Quellen haben sich die Saudis und die UAE verpflichtet, künftig die Riesensumme von 13 Milliarden Dollar zu zahlen, die im letzten Jahr aus Katar nach Kairo in die Taschen der Muslimbruderschaft geflossen sind." [4]

Unabhängig davon, ob der Bericht über die versprochene Hilfe zutrifft oder nicht – die Militärintervention in Ägypten hat jedenfalls tektonische Schockwellen in der ganzen islamischem Welt ausgelöst. Als die Massenproteste in Ägypten vor einer Woche dramatisch anschwollen, hat Scheich Hamad al-Thani, der bisherige Herrscher Katars, der die Muslimbruderschaft offen unterstützt hat, die Macht seinem 33-jährigen Sohn übertragen der als gemäßigt gilt. Der Sohn feuerte sofort den der Muslimbruderschaft freundlich gesinnten Premierminister Scheich Hamad bin Jassim. Katar hatte Mursis ägyptische Muslimbruderschaft mit etwa 8 Milliarden unterstützt, und Yusuf al-Qaradawi, der geistliche Führer der Muslimbruderschaft, hat jahrzehntelang in Doha (der Hauptstadt Katars) gelebt, und von dort aus seine häufig umstrittenen Predigten verbreitet. Katars regierungseigener TV-Sender Al Jazeera musste viel Kritik einstecken, weil er sich in den letzten Jahren zunehmend von einem angesehenen, unabhängigen, arabischen Nachrichtenkanal in einen Propagandasender der Muslimbruderschaft verwandelt hat. [5] Bezeichnenderweise gehörte zu den ersten Aktionen der ägyptischen Militärs die Schließung des Al-Jazeera-Studios in Kairo.

Die schwere Niederlage der Muslimbruderschaft in Ägypten wird sich auch auf die Türkei auswirken, wo derzeit die der Muslimbruderschaft nahestehende AKP des Premierministers Recep Tayyip Erdogan herrscht. Noch konnte Erdogan die Massenproteste in seinem Land von seiner Polizei mit Tränengas und starken Wasserwerfern gewaltsam eindämmen lassen. Unter Erdogan wurde die Türkei zum Einfallstor und Rückzugsgebiet für hauptsächlich von Katar bezahlte Söldner, die in Syrien versuchen, die Regierung Bashar al-Assads zu vertreiben und durch ein Regime der Muslimbruderschaft zu ersetzen. Noch kurz vor seinem Sturz hatte der ägyptische Präsident Mursi dazu aufgerufen, Assad durch einen Dschihad zu beseitigen.

Entscheidend wird sein, wie Obama auf den Zusammenbruch des von Washington inszenierten "Arabischen Frühlings" reagiert. Der Arabische Frühling von gestern könnte zum Albtraum eines sibirischen Winters für Washington werden.

Anmerkungen / Notes:

[1] John Hudson, Knives Come Out for US Ambassador to Egypt Anne Patterson, Foreign
Policy, July 3, 2013, accessed in http://thecable.foreignpolicy.com/posts/2013/07/03/knives_
come_out_for_us_ambassador_to_egypt_anne_patterson


[2] DebkaFile, Army deposes Morsi. In TV statement, army chief names judge provisional president. Tahrir Sq. jubilant, DEBKAfile Special Report July 3, 2013. Accessed in http://www.debka.com/article/23088/Army-deposes-Morsi-In-TV-statement-army-chief-names-judge-provisional-president-Tahrir-Sq-jubilant

[3] Reuters, Saudi king congratulates new Egyptian head of state, July 4, 2013, accessed in http://ca.news.yahoo.com/saudi-king-congratulates-egyptian-head-state-221341784.html

[4] DebkaFile, Saudis, Gulf emirates actively aided Egypt’s military coup settling score for Mubarak ouster, DEBKAfile Exclusive Report July 4, 2013 http://www.debka.com/article/23090/Saudis-Gulf-emirates-actively-aided-Egypt
%E2%80%99s-military-coup-settling-score-for-Mubarak-ouster
.

[5] Simeon Kerr, Fall of Egypt’s Mohamed Morsi is blow to Qatari leadership, Financial Times, July 3, 2013, accessed inhttp://www.ft.com/intl/cms/s/0/af5d068a-e3ef-11e2-b35b-00144feabdc0.html#axzz2Y4bYmKsb


(Übersetzung Luftpost-kl.de)

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