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STARS AND STRIPES, 09.04.13
WASHINGTON –Die Obama-Regierung hat behauptet, nur identifizierte höhere Al-Qaida-Führer und mit ihnen in Verbindung stehende Gruppierungen gezielt mit Drohnen angegriffen zu haben; aus geheimen Berichten von US-Nachrichtendiensten geht nun allerdings hervor, dass bei zahlreichen Drohnen-Angriffen in den rauen Stammesgebieten in Pakistan auch Hunderte Pakistaner, Afghanen und Angehörige anderer Staaten getötet wurden, die nur verdächtigt wurden, einfache Kämpfer zu sein.
Die US-Regierung hat bisher immer erklärt, sie genehmige CIA-Angriffe mit Raketen tragenden Drohnen der Typen Predator (Raubtier) und Reaper (Sensenmann) nur dann, "wenn sie gegen bekannte höhere Al-Qaida-Führer oder gegen Kräfte gerichtet seien, die mit den Terroranschlägen am 11. September 2001 in Verbindung gestanden und unmittelbar bevorstehende neue Angriffe auf US-Amerikaner geplant hätten".
"Es muss sich um eine tatsächlich nachgewiesene Bedrohung handeln," sagte Präsident Barack Obama am 6. September 2012 in einem Interview mit (mit dem US-TV-Sender) CNN. "Es muss eine Situation sein, in der wir die Person nicht festnehmen können, bevor sie einen geplanten Anschlag auf die USA verübt."
Den McClatchy Newspapers liegen jedoch Kopien streng geheimer Berichte von USNachrichtendiensten vor, die belegen, dass viele der Drohnen-Angriffe, die im Lauf von vier Jahren in Pakistan stattgefunden haben, diesen Anforderungen nicht genügten.
In den Geheimdienstberichten sind Tötungen von angeblichen afghanischen Aufständischen aufgeführt, deren Gruppierung nicht auf der US-Liste von Terrororganisationen stand, die schon vor den Anschlägen am 11.09. existierten; außerdem werden Verdächtige erwähnt, die einer extremistischen pakistanischen Gruppe angehören sollen, die es am 11.09. noch nicht einmal gegeben hat – neben einer Reihe nicht identifizierter Personen, die als "andere Militante " oder "ausländische Kämpfer" beschrieben werden.
In einer Antwort auf eine Anfrage der McClatchy Newspapers verteidigte das Weiße Haus seine gezielten Tötungen mit dem Hinweis, führende Regierungsvertreter hätten schon wiederholt öffentlich erklärt, dass sich die Raketenangriffe nur gegen Al-Qaida und mit ihr verbündete Kräfte richteten.
Micha Zenko, ein Experte des Council on Foreign Relations, eines von beiden großen Parteien getragenen Think-Tanks, der sich mit dem Programm gezielter Tötungen befasst, sagte, die von den McClatchy Newspapers veröffentlichten Erkenntnisse zeigten, dass die US-Regierung die Öffentlichkeit über den Umfang ihrer "legitimen gezielten Tötungen" irreführe.
Die Dokumente belegen auch, dass die Drohnen-Operatoren nicht immer sicher waren, wen sie getötet hatten – obwohl ihnen die Regierung versicherte, die CIA wähle die richtigen Ziele aus, und zivile Opfer seien "extrem selten".
Die McClatchy Newspapers sind die erste Zeitung, die eine unabhängige Einschätzung interner Berichte von US-Geheimdiensten über den geheimen Luftkrieg mit US-Drohnen vorgenommen hat; der begann am 7. Oktober 2001, als eine mit Raketen bestückte Predator-Drohne erstmals auf einem pakistanischen Flugplatz Richtung Afghanistan startete.
Diese Analyse gewinnt eine besondere Bedeutung dadurch, dass zur Zeit nicht nur in den USA, sondern auch auf internationalem Parkett eine Debatte über die Rechtmäßigkeit der Drohnen-Angriffe in Pakistan entbrannt ist, während gleichzeitig berichtet wird, die US-Regierung plane, ihre gezielten Tötungen in Afghanistan und Nordafrika auszuweiten.
Die McClatchy Newspapers haben die meisten – wenn auch nicht alle – US-Geheimdienstberichte aus den Jahren 2006-2008 und 2010-2011 überprüft. In der zweiten Periode war Obama für eine Ausweitung der Drohnen-Angriffe gegen vermutete Schlupfwinkel von Islamisten im pakistanischen Grenzgebiet verantwortlich; sie fand zur gleichen Zeit statt, in der die US-Truppen im Süden Afghanistan um 33.000 Soldaten verstärkt wurden. Mehrere Dokumente enthalten geschätzte Angaben zur Zahl der Opfer und der jeweils angegriffenen Gruppierungen.
Die Recherchen der McClatchy Newspapers haben ergeben:
Mindestens 265 der nach Schätzungen in den US-Geheimdienstberichten in den 12 Monaten bis September 2011 von der CIA getöteten 482 Menschen, waren nicht etwa höhere Al-Qaida-Führer, sondern wurden als namentlich nicht bekannte afghanische, pakistanische und andere Extremisten "eingeschätzt". Nach Medienberichten starben bei Drohnen-Angriffen während dieser Zeit nur sechs höhere Al-Qaida- Führer.
43 der 95 in dieser Zeit durchgeführten Drohnen-Angriffe waren nicht gegen Al-Qaida, sondern gegen andere Gruppierungen – wie das Haqqani-Netwerk, mehrere pakistanische Splittergruppen der Taliban und nicht identifizierte Personen – gerichtet, die als "ausländische Kämpfer" und "andere Militante" beschrieben werden.
Nach Angaben in den Berichten wurde in dieser Zeit nur ein einziger unbeteiligter Zivilist getötet, und zwar am 22. April 2011 im Norden Wasiristans, dem wichtigsten Rückzugsgebiet für militante Gruppen in den pakistanischen Stammesgebieten.
In der übrigen Zeit tötete die CIA weitere Menschen, die nur verdächtigt wurden, zu militanten Gruppen zu gehören oder mit ihnen in Verbindung zu stehen.
Bis heute hält die Obama-Regierung die gesetzlichen Grundlagen und das genaue Verfahren geheim, nach denen die gezielten Tötungen durchgeführt werden, und sie hat bisher auch noch nicht zugegeben, dass so genannte "Signature Strikes" stattfinden, bei denen nicht identifizierte Personen getötet werden, aus deren Überwachung die US-Regierung schließt, dass sie Terroristen sind, weil sie Anwesen aufsuchen, in denen Al-Qaida-Führer vermutet werden oder Waffen tragen. Außerdem hat die Regierung auch noch keine vollständige Liste der Gruppierungen vorgelegt, die neben den Taliban mit Al-Qaida verbündet sein sollen.
Die wenigen Informationen (über die Drohnen-Angriffe), die bisher zu erhalten waren, stammen aus einem durchgesickerten Weißbuch des Justizministeriums, rund einem halben Dutzend Reden, einigen öffentlichen Äußerungen Obamas und mehrerer seiner Spitzenleute und aus nur teilweise öffentlichen Anhörungen im Kongress.
"Die US-Regierung ist viel weiter gegangen, als die US-Bürger – und vermutlich auch der Kongress – bisher erfahren haben, und hat auch noch behauptet, ihr Vorgehen sei legal," erklärte Mary Ellen O`Connell, eine Professorin der Juristischen Fakultät der University Notre Dame, die der Meinung ist, dass die CIA-Drohnen-Angriffe in Pakistan gegen das Völkerrecht verstoßen.
Aus den Dokumenten, die von den McClatchy Newspapers überprüft wurden, geht nicht hervor, wie viele Personen bei Drohnen-Angriffen in Pakistan insgesamt starben; nach unabhängigen Berichten sollen es zwischen 1.990 und 3.581 sein.
Die Geheimberichte ermöglichen aber einen Einblick in den intensiven Drohnen-Einsatz in den an der Grenze zu Afghanistan liegenden Stammesgebieten. Sie enthalten Angaben zur geschätzten Zahl der Toten und Verwundeten, zur Lage der angegriffenen Schlupfwinkel, zur Identität einiger der Angegriffenen oder Getöteten, zur Bewegung der Zielpersonen von Dorf zu Dorf oder von Versteck zu Versteck und in wenigen Fällen auch die Gründe für durchgeführte Raketenangriffe.
Die Dokumente offenbaren auch das Ausmaß des gezielten Tötens; in dieser unruhigen pakistanischen Grenzregion sind die Tötungen wegen der dort vorherrschenden Stammeskultur besonders problematisch. Die Taliban-Kämpfer sind genau so gekleidet wie unbeteiligte Stammesangehörige, und das Tragen einer Waffe ist eine jahrhundertealte Tradition bei den Paschtunen-Stämmen.
Das Haqqani-Netzwerk arbeitet zum Beispiel aus ideologischen und taktischen Gründen eng mit Al-Qaida zusammen, und es wird für einige der blutigsten Angriffe auf Einheimische und auf die US-geführten Streitkräfte in Afghanistan verantwortlich gemacht. Dieses Netzwerk stand aber in der Zeit, auf die sich die Berichte der US-Geheimdienste beziehen, nicht auf der US-Liste der internationalen Terrororganisationen, und es ist nicht bekannt, ob es jemals direkt an einem in den USA selbst verübten Anschlag beteiligt war.
Andere Gruppen, die in den Dokumenten erwähnt werden, verfolgen nur Ziele in Pakistan (sind also überhaupt nicht an den Kämpfen in Afghanistan beteiligt): Die pakistanischen Taliban wollen die pakistanische Regierung in Islamabad stürzen; Lashkar i Jhangvi, die Armee Jhangvis, besteht aus in Pakistan selbst gesuchten sunnitischen Muslimen, die Hunderte von Schiiten, die in Pakistan eine Minderheit bilden, abgeschlachtet haben und eine Reihe von Anschlägen in Pakistan und Afghanistan verübt haben sollen – zum Beispiel 2006 einen Bombenanschlag auf das US-Konsulat in Karatschi, bei dem ein US-Diplomat getötet wurde. Beide Gruppen stehen zwar Al-Qaida nahe, aber von keiner ist bekannt, dass sie Anschläge in den USA selbst verübt hat.
"Meines Wissens sind die Drohnen-Angriffe in Pakistan ausschließlich gegen Al-Qaida und die afghanischen Taliban gerichtet, bisher gab es jedenfalls keine anderslautenden Informationen," äußerte Christopher Swift, ein Experte für die Gesetze zur Staatssicherheit, der an der Georgetown University lehrt und sich sehr intensiv mit den gezielten Tötungen befasst. "Wir entscheiden ad hoc von Fall zu Fall und gehen dabei weder systematisch noch strategisch vor."
Die Regierung hat sich bisher auch geweigert, sonstige Details des Programms offenzulegen – zum Beispiel, wie die Geheimdienste ihre Ziele auswählen und welche Beweise vorliegen müssen, damit eine Person in die "Tötungsliste" der CIA aufgenommen wird. Die Regierung hat auch nicht eingestanden, dass es "Signature Strikes" (gegen nicht identifizierte Personen) gibt und sich noch nicht einmal zu den juristischen und formalen Prozeduren zur Genehmigung von Drohnen-Angriffen geäußert.
Die Vorsitzenden der Geheimdienst-Ausschüsse des Senates und des Repräsentantenhauses behaupten, das Drohnen-Programm streng zu überwachen. Nun hat aber Diane Feinstein, eine Demokratin aus Kalifornien, die dem Geheimdienst-Ausschuss des Senates vorsitzt, am 13. Februar (2013) zugegeben, dass ihr Gremium erst "kurz nach jedem Drohnen-Angriff" Details darüber erfährt; trotzdem hält sie die Angriffe für "wirksame Werkzeuge zur Terrorbekämpfung" und behauptet, "mit Hilfe überprüfter Geheimdienst-Erkenntnisse werde die Tötung von Nichtkombattanten vermieden".
Bis letzten Monat hat Obama wiederholt Aufforderungen von Abgeordneten zur Offenlegung der geheimen Anweisungen des Justizministeriums zur Rechtfertigung des Drohnen-Programms zurückgewiesen und ihnen nur zwei Dokumente zugänglich gemacht, die den Präsidenten zur Anordnung gezielter Tötungen ermächtigen. Erst dann durfte der Geheimdienst- Ausschuss des Senats Einblick in die Dokumente nehmen, mit denen die gezielte Tötung von US-Bürgern gerechtfertigt wird; damit wurde das Gremium dazu gebracht, am 7. März die Ernennung John Brennans, des bisherigen Anti-Terrorchefs des Weißen Hauses und Hauptarchitekten des Programms gezielter Tötungen, als neuen CIA-Direktor zu bestätigen. Die Einsicht in weitere Dokumente wurde mit der Begründung verweigert, sie enthielten juristische Ratschläge, die nur für den Präsidenten bestimmt seien.
Zudem hat sich der größte Teil der Debatte in den USA auf die Tötung von vier US-Amerikanern konzentriert – die alle bei einem Drohnen-Angriff im Jemen umkamen, der nur einem von ihnen galt; für die vielen Tausend ausländischen Drohnen-Opfer, die vor allem in Pakistan zu beklagen sind, hat sich niemand interessiert.
Obama und seine Spitzenleute behaupten, die USA befänden sich in einer "bewaffneten Auseinandersetzung" mit Al-Qaida und den afghanischen Taliban, und deshalb verstoße das Programm gezielter Tötungen weder gegen US-amerikanische Gesetze noch gegen das Völkerrecht – vor allem nicht gegen das Recht auf Selbst - verteidigung und das internationale Kriegsrecht. Obama leitet sein Recht zur Anordnung gezielter Tötungen auch aus der US-Verfassung und aus einer am 14. September 2001 beschlossenen Resolution des Kongresses ab, die den Präsidenten "zur Anwendung aller notwendigen und angemessenen Gewalt gegen alle ermächtigt, die an den Anschlägen am 11.09. beteiligt waren oder daran Beteiligten geholfen haben".
Immer wieder hat die Regierung beteuert, die Drohnen-Angriffe richteten sich nur gegen aktive Al-Qaida-Führer, gegen die afghanischen Taliban und gegen mit ihnen verbündete Gruppierungen, die Angriffe auf die USA selbst planten. Gelegentlich haben Offizielle jedoch durchblicken lassen, dass sie auch auf andere gewalttätige Gruppierungen zielen, die US-Amerikaner im Allgemeinen oder US-Einrichtungen bedrohen.
Am 30. April 2012 hat Brennan die bisher ausführlichste Erklärung zu Obamas Drohnen- Programm abgegeben. Dabei hat er 73 Angriffe auf Al-Qaida und 3 Angriffe auf die afghanischen Taliban eingestanden und keine andere Gruppierung namentlich erwähnt.
"Wir genehmigen eine gezielte Operation gegen eine spezielle Person nur dann, wenn wir uns ziemlich sicher sind, dass die anvisierte Person tatsächlich der Terrorist ist, den wir jagen," sagte Brennan damals.
Natürlich wurden durch das US-Drohnen-Programm auch feindliche Kämpfer getötet, ohne dass die US-Streitkräfte Risiken dafür eingehen mussten.
Nach Brennans Worten ist die US-Regierung der Meinung, dass Drohnen eine "kluge Wahl" zur Bekämpfung von Terroristen sind. Im Laufe der Jahre haben die (unbemannten) Flugzeuge die in Pakistan sitzende Führungsspitze der Al-Qaida dezimiert und sie ihrer Fähigkeit beraubt, komplizierte Angriffe zu inszenieren. US-Offizielle betonen, dass man das geschafft hat, ohne US-Truppen auf feindliches Territorium entsenden zu müssen, und dass nur in ganz seltenen Fällen "zivile Opfer zu beklagen waren".
"Alle von uns durchgeführten Aktionen standen im Einklang mit unseren Gesetzen und entsprachen den Standards, die US-Bürger meiner Meinung nach von uns erwarten, wenn es um ihren Schutz geht; wir untersuchen natürlich alle anderen Möglichkeiten, bevor wir zu tödlicher Gewalt greifen," sagte Brennan am 7. Februar (2013) bei seiner Anhörung vor dem Geheimdienst-Ausschuss des Senats.
Einige Rechtsprofessoren und Menschenrechtsorganisationen zweifeln jedoch die Rechtmäßigkeit des Drohnen-Programms an.
Sie denken, dass Obama das Völkerrecht und besonders das Kriegsrecht falsch interpretiert, weil das nur für uniformiertes Militär, nicht aber für die zivile CIA und nur auf den regulären Schlachtfeldern in Afghanistan, aber nicht in den pakistanischen Stammesgebieten gilt – und zwar auch dann nicht, wenn sich dort Schlupfwinkel der Al-Qaida und anderer gewalttätiger Gruppen befinden. Sie vertreten auch die Auffassung, dass Obama die exekutiven Befugnisse zur Gewaltanwendung, die er aus der Resolution vom September 2001 ableitet, stark überdehnt.
Auch die von der Regierung benutzte Definition "einer unmittelbar drohenden Gefahr" ist umstritten. In dem durchgesickerten Weißbuch des Justizministeriums wird ausgeführt, es müsse den USA erlaubt sein, "zur Selbstverteidigung gegen drohende Terroranschläge auch dann zu handeln, wenn es keine spezifischen Beweise dafür gibt, wo solche Anschläge stattfinden und wie sie durchgeführt werden sollen". Rechtsprofessoren halten dieses Verständnis von "unmittelbar drohend" für viel zu weit gefasst und sehen es nicht durch das Völkerrecht gedeckt.
"Ich bin dankbar dafür, dass meine Ärzte nicht die Auffassung der Regierung von `unmittelbar drohend` teilen, wenn es um den Tod geht. Sonst müssten sie ja schon bei einem Schnupfen den Stecker (der Beatmungsmaschine) ziehen," sagte Morris Davis, ein Professor der Juristischen Fakultät der Howard University, der auch schon einmal der Air Force als Rechtsanwalt diente und Chefankläger bei den Terroristenprozessen in der Guantánamo Bay war.
Nach Meinung von Kritikern hat das Drohnen-Programm, durch das seit 2004 auch Hunderte von (unbeteiligten) Zivilisten getötet wurden, den Hass auf die USA geschürt, die Rekrutierung von extremistischen Kämpfern beschleunigt und zur Destabilisierung der von den USA gestützten pakistanischen Regierung beigetragen. Einige Experten befürchten, dass die USA durch ihre illegalen Praktiken neue internationale Verhaltensstandards setzen und auch andere Staaten zu gezielten Tötungen ermuntern, für die auch diese dann nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten.
Regierungen anderer Staaten "werden die US-Drohnen-Praxis nicht unbedingt nachahmen, aber sie werden die Rechtfertigung der USA für eigene gezielte Tötungen übernehmen," sagte Zenko vom Council on Foreign Relations (s. S. 1). "Wenn die US-Regierung ganz andere Leute tötet, als sie vorgibt, zu töten, schafft ihre Heuchelei einen gefährlichen Präzedenzfall, dem auch andere Staaten nacheifern werden."
Eine spezielle Kommission des UN-Menschenrechtsrates hat im Januar (2013) eine neunmonatige Untersuchung gestartet, in der überprüft werden soll, ob die Drohnen-Angriffe – einschließlich der CIA-Operationen in Pakistan – das Völkerrecht dadurch verletzen, dass sie eine unverhältnismäßig große Anzahl ziviler Opfer fordern. Der Chef dieser Kommission, der britische Rechtsanwalt Ben Emmerson, erklärte, als er vom 11. bis 13. März Pakistan besuchte, "durch die US-Drohnen-Kampagne werde auf dem Territorium eines anderen Staates ohne dessen Einverständnis Gewalt ausgeübt und damit die Souveränität Pakistans verletzt".
Die US-Regierung versichert, mit Drohnen nur Personen anzugreifen, deren Namen in einer "Liste aktiver Terroristen" geführt werden, weil nach "äußerst sorgfältiger und gründlicher Prüfung" feststeht, dass sie Al-Qaida oder "mit ihr verbündeten Kräften" angehören, und in strategischer Hinsicht so wichtig sind, dass sie getötet werden müssen.
Aus den Berichten der US-Geheimdienste geht jedoch hervor, dass 43 der 95 Drohnen- Angriffe, die in dem Haushaltsjahr stattfanden, das Ende September 2011 endete, nicht gegen Al-Qaida, sondern gegen andere Gruppierungen gerichtet waren. Die bedeutendsten dieser anderen Gruppierungen waren das Haqqani-Netzwerk und die pakistanischen Taliban.
Das Haqqani-Netzwerk ist eine afghanische Organisation, die mit den Taliban verbündet ist, im Osten Afghanistans operiert und deren Führer sich in den an Afghanistan angrenzenden pakistanischen Stammesgebieten im Norden Wasiristans aufhalten. Die USA werfen dieser Gruppierung vor, einige der Terrorangriffe in Kabul durchgeführt zu haben, bei denen die meisten Toten zu beklagen waren; sie soll auch die Anschläge auf die Botschaften Indiens und der USA verübt, viele Zivilisten getötet und die US-geführten Streitkräfte in Afghanistan angegriffen haben. Die Obama-Regierung hat dieses Netzwerk bis September 2012 aber noch nicht einmal offiziell als terroristische Vereinigung geführt.
Sein nomineller Chef ist Jalaluddin Haqqani, ein ehemaliger Guerillakämpfer, der gegen die Sowjets gekämpft und dem Taliban-Regime als Minister und oberster Militärführer gedient hat; das Taliban Regime hat der Al-Qaida Unterschlupf gewährt, bis sie durch die US-Intervention im Jahr 2001 nach Pakistan vertrieben wurde. US-Offizielle behaupten, das Netzwerk, dessen operativer Chef Haqqanis Sohn Sirajuddin ist, arbeite eng mit der Al-Qaida zusammen und werde von Elementen des pakistanischen Militärgeheimdienstes Inter Services Intelligence / ISI unterstützt, was Islamabad aber bestreitet.
Nach den Berichten der US-Geheimdienste waren mindestens 15 der im Haushaltsjahr 2011 durchgeführten Drohnen-Angriffe auf das Haqqani-Netzwerk oder Schlupfwinkel gerichtet, in denen sich dessen Kämpfer verbergen. Dabei wurden nach Schätzungen bis zu 96 Menschen getötet – das sind etwa 20 Prozent der in diesem Zeitraum insgesamt (durch Drohnen-Angriffe) Getöteten.
Aus einem Bericht geht hervor, dass die CIA unter der Bush-Administration bei der Jagd auf Haqqani-Kämpfern sogar ganze Familien, einschließlich der Frauen und Kinder, getötet hat.
Nach dem Bericht starben bei einem Drohnen-Angriff am 8. September 2008 neben einer geheim gehaltenen Anzahl unterer Haqqani-Führer auch nicht identifizierte Araber und "Mitglieder der Großfamilie eines Haqqani-Kämpfers". Nach Pressemeldungen wurden bei dem Angriff auf das im Norden Wasiristans gelegene Dorf Dandey Darapakhel insgesamt 25 Menschen getötet, darunter auch ein Araber, der Chef der Al-Qaida-Operationen in Pakistan gewesen sein soll, acht Enkelkinder Jalaluddin Haqqanis, eine seiner Frauen, zwei Nichten und eine seiner Schwestern.
Nach Schätzungen in den US-Geheimdienst-Berichten wurden bei mindesten neun Drohnen- Angriffen auf die pakistanischen Taliban oder auf Örtlichkeiten, die sie mit anderen Gruppierungen teilten, von Januar 2010 bis September 2011 mindestens 31 Menschen getötet. US-Offizielle behaupten zwar, die pakistanischen Taliban würden eng mit Al-Qaida zusammenarbeiten, deren eigentliches Ziel ist aber der Sturz der pakistanischen Regierung – durch Selbstmord-Attentate, Überfälle und Mordanschläge; die USA greifen sie jedenfalls nicht an. Diese Gruppierung wurde erst 2007 gegründet, und einige Terroranschläge, die ihr angelastet werden, wurden nach Aussagen in den US-Geheimdienst-Berichten schon begangen, bevor die US-Regierung die pakistanischen Taliban im September 2010 als Terrororganisation einstufte.
Nach anderen Schätzungen in US-Geheimdienst-Berichten hat die CIA in den Jahren 2010 und 2011 Hunderte weiterer Personen getötet, die nicht Al-Qaida zugerechnet, sondern als "verdächtige Extremisten", nicht identifizierte "ausländische Kämpfer" oder "andere Militante" bezeichnet wurden. Einige starben bei so genannten "Signature Strikes" (s. S. 2); ihre Fahrzeuge wurden (durch von Drohnen abgefeuerte Raketen) in Stücke gerissen, manchmal nur wenige Tage, nachdem sie beim Besuch von Schauplätzen früherer Drohnen-Angriffe oder bei Fahrten zu Gehöften, in denen Mitglieder der Al-Qaida oder anderer Gruppierungen vermutet wurden, beobachtet worden waren.
"Die größte Herausforderung in jedem Krieg ist, zu wissen, gegen wen man kämpft, und diejenigen zu erkennen, die eine echte Bedrohung für die eigenen Ziele und die eigene Sicherheit darstellen," sagte Christopher Swift. (s. S. 3)
Aus den Dokumenten der US-Geheimdienste geht auch hervor, dass es bei der Identifizierung der Zielpersonen an Präzision mangelte.
Schauen wir uns zum Beispiel einen Drohnen-Angriff am 18. Februar 2010 an.
Wie ein US-Geheimdienst berichtete, sollte Badruddin Haqqani, die damalige Nummer 2 in der Führung des Haqqani-Netzwerkes, an diesem Tag am Begräbnis eines Verwandten im Norden Wasiristans teilnehmen. Auf einem Video, das eine Drohne aus großer Höhe von den Trauernden aufnahm, identifizierten die in den USA befindlichen CIA-Operatoren dieser Drohne einen bestimmten Mann als Badruddin Haqqani, weil ihn die anderen Trauergäste sehr ehrfürchtig begrüßten. Der Mann führte auch die Familie an, die sich um den Leichnam kümmerte.
Aber trotz der Behauptung der US-Regierung, die Identifizierung der Zielpersonen werde "mit größtmöglicher Sorgfalt" vorgenommen, handelte es sich bei der Zielperson, die getötet wurde, als eine Rakete das Auto zerfetzte, in dem sie nach dem Begräbnis wegfuhr, nicht um Badruddin Haqqani.
Es war sein jüngerer Bruder Mohammad. Seine Freunde erzählten später Reportern, Mohammad Haqqani sei ein etwas über 20 Jahre alter religiöser Student gewesen, der überhaupt nichts mit dem Terror-Netzwerk zu tun hatte; der US-Geheimdienst hielt ihn aber für ein einfaches Mitglied dieses Netzwerks ohne Führungsaufgaben. Nach dem Geheimdienst-Bericht starb mit ihm in dem getroffenen Auto mindestens ein weiterer nicht identifizierter Mitfahrer.
Die CIA brauchte weitere 18 Monate, um Badruddin Haqqani zu finden und zu töten.
Übersetzung: Wolfgang Jung, luftpost-kl.de