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Aus dem Report: Globalisierung der Folter – Geheime Festnahmen und illegale Verschleppungen der CIA

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Globalizing Torture
In dem in den USA veröffentlichten Report "Globalizing Torture / CIA Secret Detention And Extraordinary Rendition" wird auch die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an den illegalen Praktiken der CIA beschrieben.

S. 78-81, veröffentlicht im Februar 2013

Der unter obigem Link aufzurufende Report der Open Society Justice Initiative (weitere Infos zu dieser Initiative hier und hier) hat 216 Seiten und informiert u. a. darüber, dass insgesamt 54 Staaten die CIA bei ihren illegalen Praktiken unterstützt haben. Wir haben nur die Passage übersetzt, in der die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland beschrieben wird.

20. Deutschland

Vertreter Deutschlands haben an der Befragung von mindestens einer verschleppten Person teilgenommen. Die deutsche Regierung hatte auch Kenntnis von der Entführung eines deutschen Staatsangehörigen, den die CIA in einem ihrer Geheimgefängnisse festgehalten hat. Außerdem hat Deutschland die Nutzung seines Luftraums und auf deutschem Territorium gelegener Flughäfen für illegale Verschleppungsflüge der CIA gestattet.

Nach einem UN-Report aus dem Jahr 2010 (s. hier) waren deutsche Agenten an dem illegalen Verschleppungsprogramm der CIA beteiligt, denn sie haben das Verschleppungsopfer Muhammad Zammar während seiner Haft in einem Geheimgefängnis in Syrien verhört [1037]. Weitere Angaben dazu sind der Häftlingsliste im Abschnitt IV (und hier und hier) zu entnehmen. Außerdem sollen deutsche Beamte im September 2001 am Verhör des Abdel Halim Khafagy (weitere Infos zu seiner Person hier) in Bosnien teilgenommen haben, bevor er nach Ägypten verbracht wurde [1038]. Es ist jedoch nicht geklärt, ob auch die CIA am Fall Khafagy beteiligt war.

Deutschland könnte auch Informationen geliefert haben, die zur Inhaftierung des deutschen Staatsbürgers Khaled El-Masri führten, und an dessen Vernehmung beteiligt gewesen sein. Weitere Angaben dazu finden sich in der Häftlingsliste im Abschnitt IV (und hier). Nach einem Report des Europarates aus den Jahr 2006 hat El-Masri ausgesagt, dass er am 16. Mai 2004 während seiner Inhaftierung in Afghanistan von einem uniformierten Deutschen, der sich als "Sam" vorstellte, aufgesucht wurde, der später auch mit ihm von Afghanistan nach Albanien zurückflog [1039]. Nach seiner Freilassung identifizierte El-Masri diesen Mann an Hand eines Fotos und bei einer polizeilichen Gegenüberstellung als Gerhard Lehmann, einen deutschen Geheimdienstoffizier [1040]. Außerdem wurden El-Masri während seiner Haft in Afghanistan detaillierte Fragen zu seinen persönlichen Verhältnissen gestellt, die darauf schließen ließen, dass deutsche Behörden seinen Vernehmern vorher Auskünfte über ihn erteilt hatten; die deutschen Behörden haben aber bestritten, Informationen über El-Masri an die USA weitergegeben zu haben [1041].

Außerdem gibt es Berichte, dass hochrangige Vertreter Deutschlands über die Situation El-Masris informiert wurden. Ende Mai 2004 hat Daniel Coats, damals US-Botschafter in Deutschland, Otto Schilly, den damaligen deutschen Innenminister, über den Fall El-Masri, unterrichtet, und Schilly machte deutlich, dass er es vorgezogen hätte, nicht darüber informiert worden zu sein [1042] (Weitere Infos dazu sind hier aufzurufen). Am 6. Dezember 2005 behauptete die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der damaligen US-Außenministerin Condoleezza Rice, die USA hätten zugegeben, im Fall El-Masri einen Fehler gemacht zu haben [1043]. Höhere US-Vertreter, die Frau Rice auf ihrer Europa-Reise begleitet haben, waren mit dieser Interpretation der Frau Merkel nicht einverstanden [1044].

In einem Report des Europaparlaments aus dem Jahr 2007 wird die Tatsache beklagt, "dass Deutschland mindestens Kenntnis von der illegalen Entführung des deutschen Staatsbürgers Khaled El-Masri hatte" [1045]. Im gleichen Report wird auch der Fall des in Deutschland geborenen Türken Murat Kurnaz dargestellt, der 2001 in Pakistan festgenommen und auf den USFlugplatz Kandahar in Afghanistan und später in das US-Lager in der Guantánamo Bay verschleppt wurde [1046]. Nach diesem Report hat die deutsche Regierung ein Angebot der US-Regierung, Kurnaz schon 2002 wieder freizulassen, einfach abgelehnt. In dem Bericht wird außerdem mitgeteilt, deutsche Beamte hätten Kurnaz zweimal in Guantánamo verhört und ihm jede juristische Unterstützung verweigert; Kurnaz wurde in Verhören mit Details konfrontiert, die vermutlich aus deutschen Geheimdienstquellen stammten [1047]. Kurnaz behauptet, er sei während seiner Inhaftierung in Kandahar von deutschen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte / KSK misshandelt worden [1048]. Auf Befragen teilte der deutsche Verteidigungsminister zunächst mit, in der von Kurnaz angegebenen Zeit seien überhaupt keine KSK-Soldaten in Afghanistan gewesen; als er später zugeben musste, dass KSK-Leute sehr wohl Kontakt zu Kurnaz hatten, bestritt er aber weiterhin, dass sie ihn misshandelt hätten [1049]. Es ist nicht geklärt, ob die CIA an diesem Fall beteiligt war, weil eine andere US-Behörde das bestreitet (s. dazu hier).

Außerdem erlaubte Deutschland nachweislich die Nutzung von Flughäfen auf und des Luftraums über seinem Territorium für Flüge, die in Zusammenhang mit dem Verschleppungsprogramm der CIA standen. In einem 2007 veröffentlichten Bericht des Europaparlaments (s. o.) über vermutlich mit Hilfe europäischer Regierungen vorgenommene illegale Festnahmen und über CIA-Verschleppungsflüge, die über Flughäfen in europäischen Ländern abgewickelt wurden, wird festgestellt, dass das unter dem Namen Abu Omar bekannte Verschleppungsopfer Hassan Mustafa Osama Nasr über die US-Air Base Ramstein in Deutschland nach Ägypten ausgeflogen wurde [1050]. (Weitere Infos hier und hier.) In dem Bericht werden auch "schwere Bedenken gegen 336 Zwischenlandungen von Flugzeugen auf Flugplätzen in Deutschland vorgebracht, die von der CIA für die Verschleppung von Gefangenen in Folterländer und ihren Rücktransport (nach Guantánamo oder in CIA-Geheimgefängnisse) benutzt wurden; zu den dabei transportierten Gefangenen gehörten u. a. Bisher Al-Rawi, Jamil El-Banna, Abou Elkassim Britel, Khaled El-Masri, Binyam Mohammed, Abu Omar und Maher Arar, Ahmed Agiza und Mohammed El Zari" [1051]. Flugaufzeichnungen belegen, dass am 23. Mai 2002 ein Gulfstream V mit der Registrierungsnummer / Reg.Nr. N379P in Frankfurt landete, nachdem sie am gleichen Tag Dubai, Islamabad und Rabat in Marokko angeflogen hatte; bei diesem Flug wurde vermutlich Abou Elkassim Britel von Pakistan nach Marokko verschleppt [1052]. Aus US-Gerichtsakten geht hervor, dass zwischen 2002 und 2004 bei mindestens neun Flügen der Richmor Aviation, einer Fluglinie die im Auftrag der CIA Verschleppungsflüge durchführte [1048], Landungen in Deutschland stattfanden [1053]. Das Flugzeug mit der Reg.Nr. N85VM landete zwischen dem 17. und 23. Juli 2002, zwischen dem 31. Juli und dem 2. Aug 2002, zwischen dem 4. und 8. Dezember 2002, zwischen dem 17. und 20. Januar 2003, zwischen dem 3. und 18. Februar 2003, zwischen dem 15. und 24. Mai 2003 und zwischen dem 19. und 21. Juli 2003 in Deutschland; das Flugzeug mit der Reg.Nr. N982RK landete zwischen dem 15. und 19. Juli 2004 [1055].

Auf Antrag El-Masris leitete die Staatsanwaltschaft München im Juni 2004 ein Ermittlungsverfahren ein [1056]. Während der Untersuchung bestätigten Augenzeugen, dass El-Masri tatsächlich Ende 2003 mit dem Bus nach Mazedonien gereist und kurz nach seinem Eintreffen in diesem Land festgenommen worden war [1057]. Aus Stempeln in seinem Pass konnte die Staatsanwaltschaft ersehen, dass er am 31. Dezember 2003 ein- und am 23. Januar 2004 wieder ausgereist war [1058]. Durch eine wissenschaftliche Untersuchung seiner Haare konnte nachgewiesen werden, dass er eine längere Zeit in einem südasiatischen Land verbracht und währenddessen zu wenig Nahrung erhalten hatte [1059].

Im Januar 2007 erließ die deutsche Staatsanwaltschaft Haftbefehle gegen13 CIA-Agenten, die verdächtigt wurden, an der Verschleppung Khaled El-Masris beteiligt gewesen zu sein [1060]. Am 21. Februar 2007 wurden die Haftbefehle an Interpol weitergeleitet [1061]. Im September 2007 beschloss die deutsche Regierung, keine Anträge auf Auslieferung der 13 verdächtigten Agenten zu stellen [1062]. Im Dezember 2010 stellte das Verwaltungsgericht Köln das von Khaled El-Masri gegen die deutsche Regierung betriebene Verfahren mit der Begründung ein, die Auslieferung der 13 US-Bürger, die 2004 an El-Masris Verschleppung nach Afghanistan beteiligt gewesen sein sollen, sei nicht durchzusetzen
gewesen [1063]. Aus von WikiLeaks 2010 veröffentlichten US-Diplomatendepeschen geht hervor, dass US-Offizielle Druck auf die deutsche Regierung ausgeübt haben, damit sie keinen Auslieferungsantrag stellte [1064].

2006 leitete die Staatsanwaltschaft Potsdam ein Ermittlungsverfahren ein, das klären sollte, ob Murat Kurnaz in Afghanistan von KSK-Soldaten misshandelt worden war. Im Oktober 2006 wurde das Verfahren an die Staatsanwaltschaft Tübingen/Karlsruhe abgegeben [1065]. Diese stellte das Verfahren 2007 aus Mangel an Beweisen ein, obwohl sie "bleibende Zweifel" an den Aussagen der beteiligten Soldaten hatte [1066]. Im August 2007 wurde das Verfahren noch einmal eröffnet und im Juni 2008 aus Mangel an Beweisen erneut eingestellt [1067]. Ein Antrag auf die Vernehmung von US-Zeugen, die den Vorfall miterlebt hatten, wurde von den zuständigen US-Behörden abgelehnt [1068].

Der Verteidigungsausschuss (des Deutschen Bundestages), der auch untersuchen ließ, ob Kurnaz von KSK-Mitgliedern in Afghanistan misshandelt worden war, kam zu dem Ergebnis, dass es nicht genügend Beweise für die Vorwürfe gab [1069]. Der Abschlussbericht wurde nicht veröffentlicht, und die Sitzungen des Ausschusses fanden hinter verschlossenen Türen statt [1070]. Von 2006 bis 2009 befasste sich ein Untersuchausschuss des deutschen Parlaments mit der angeblichen Beteiligung Deutschlands an dem Verschleppungsprogramm der CIA [1071]. Seine Recherchen konzentrierten sich auf die deutsche Beteiligung
an der Verschleppung des deutschen Staatsbürgers Khalid El-Masri, der zunächst in Mazedonien festgehalten und anschließend nach Afghanistan entführt worden war,

auf den in Deutschland geborenen Türken Murat Kurnaz, der Ende 2001 aus Pakistan nach Afghanistan verschleppt und 2002 nach Guantánamo verbracht wurde,

auf die illegale Verschleppung des deutschem Staatsbürgers Muhammed Haydar Zammar, der im Dezember 2001 von Marokko nach Syrien entführt wurde,

und auf die im September 2001 erfolgte Verschleppung des in München lebenden Verlegers Abdel Halim Khafagy aus Bosnien-Herzegowina nach Ägypten [1072].
Im Untersuchungsbericht wurde festgehalten, dass keine deutschen Staatsbediensteten an illegalen Aktionen beteiligt waren, die zur Beschuldigung, Verschleppung, Inhaftierung in geheimen Gefängnissen oder zur Misshandlung und Folterung deutscher Staatsangehöriger oder in Deutschland lebender Personen geführt haben [1073]. Die Glaubwürdigkeit des Untersuchungsergebnisses wurde jedoch im Juni 2009 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts erschüttert, in dem festgestellt wurde, dass die Weigerung der Regierung, mit dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zusammenzuarbeiten, die deutsche Verfassung verletzte und das Recht des Parlaments zur Überwachung der Regierung einschränkte [1074].

Im November 2005 bestätigte der deutsche Staatsanwalt Eberhard Bayer (von der Staatsanwaltschaft Zweibrücken), dass er bei seinen Nachforschungen US-Behörden (erfolglos) um Unterstützung gebeten hatte; er wollte feststellen, ob beim Verbringen des Verschleppten Abu Omar aus einem militärischen Learjet in eine Gulfstream, das auf der US-Air Base Ramstein in Deutschland erfolgt war, gegen deutsches Recht verstoßen wurde [1075]. Das Ermittlungsverfahren des deutschen Staatsanwaltes im Verschleppungsfall Abu Omar wurde im Februar 2009 wegen "Erfolglosigkeit" eingestellt [1076]. (Weitere Infos dazu sind dem Kommentar in der LUFTPOST 018/11 zu entnehmen, die hier aufzurufen ist.) Im Untersuchungsbericht des Europaparlaments (s. o.) wird zu den deutschen "Bemühungen" um Aufklärung festgehalten [i]: "Die deutsche Regierung hat nicht eng genug mit parlamentarischen Untersuchungsausschüssen kooperiert, insbesondere hat sie die Einsicht in wichtige Dokumente verweigert, die Veröffentlichung von Informationen verhindert und das Aussagerecht einiger Zeugen beschnitten [ii]. Auch US-Behörden haben die Zusammenarbeit verweigert [iii]. Die Untersuchungsergebnisse des Verteidigungsausschusses wurden nicht veröffentlicht [iv]. Ermittlungsverfahren wurden wegen fehlender Beweise eingestellt [1077].

Anmerkungen / Notes und Zusatzinformation >>>

Übersetzung: Wolfgang Jung, luftpost-kl.de

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