German-Foreign-Policy.com |
Klitschko: „Befehl ausgeführt, Ukraine brennt, Frau Bundeskanzlerin!“ |
Petro Poroschenko |
Befreundete Oligarchen
Die von Berlin geförderte Kiewer Umsturzregierung kooperiert immer offener mit den in der Bevölkerung verhassten ukrainischen Oligarchen. Bereits während ihrer Proteste auf dem Majdan waren die Oppositionsführer von einigen Milliardären unterstützt worden. Petro Poroschenko, der "Schokoladenkönig" genannt wird, weil er einen milliardenschweren Süßwarenkonzern besitzt, hatte sich offen neben Witali Klitschko gezeigt. Medien im Besitz des Oligarchen Wiktor Pinchuk hatten mit Sympathie über die Demonstrationen berichtet. Klitschko hatte bestätigt, er halte auch zu weiteren Oligarchen Kontakt.[1] Arsenij Jatsenjuk, heutiger Ministerpräsident, gehört ohnehin der Partei der Oligarchin Julia Timoschenko an. Inzwischen hat die Umsturzregierung allerdings begonnen, weitere Oligarchen in hohe Staatsämter zu bringen; an exponierter Stelle werden jetzt etwa Sergey Taruta und Ihor Kolomoisky eingesetzt.
Rinat Achmetow (l.) und Sergey Taruta (r.) |
Die Einheit der Ukraine
Ihor Kolomoisky |
Mit dubiosen Mitteln
Besondere Aufmerksamkeit verdient auch Ihor Kolomoiskys Ernennung zum Gouverneur von Dnipropetrowsk. Die Motive sind dieselben wie im Falle Tarutas: Kolomoiskys Geschäftsinteressen sehen eine enge Annäherung der Ukraine an Russland und damit an den direkten Einflussbereich konkurrierender russischer Oligarchen nicht vor. Hinzu kommt, dass Kolomoisky, einer der reichsten Ukrainer, sich mit seinem ehemaligen Gefährten Janukowitsch überworfen und seinen Lebensmittelpunkt in die Schweiz verlegt hat, wo er für westlichen Druck empfänglich ist. Seine Beliebtheit in der Ukraine hat es nicht gesteigert, dass der Mann, über dessen Bank fast ein Fünftel des gesamten Zahlungsverkehrs im Land laufen sollen, in den Jahren von 2008 bis 2010 - damals regierte in Kiew noch die prowestliche "Orangene Koalition" - mit dubiosen Mitteln die größte ukrainische Raffinerie unter seine Kontrolle brachte. Nach Janukowitschs Wahlsieg 2010 gelang es ihm jedoch, sich auch mit dessen Regierung ins Benehmen zu setzen. Seine Ernennung zum Gouverneur ist ein weiterer Schritt hin zur offenen Restauration derjenigen Machtzirkel, gegen die sich die Majdan-Rebellion zunächst richtete, bevor Berlin sie für seinen Machtkampf gegen Moskau in Anspruch nahm.
Die russische Orange
Der Machtkampf um Kiew wird zwischen Deutschland und Russland immer wieder ausgetragen, seit Berlin bei Beginn des Ersten Weltkrieges vor 100 Jahren erstmals den offenen Kampf aufnahm. Hintergrund war damals der deutsche Plan, den russischen Gegner durch das Anheizen innerer Unruhen bis hin zur Abspaltung einzelner Territorien zu schwächen. Eine der prägenden Gestalten der deutschen Ukraine-Politik, der Publizist und spätere Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, Paul Rohrbach, hatte den Gedanken unter Nutzung eines einprägsamen Bildes formuliert, indem er Russland mit einer Orange verglich: "Wie diese Frucht aus einzelnen leicht voneinander lösbaren Teilen besteht, so das russische Reich aus seinen verschiedenen Gebietsteilen: baltische Provinzen, Ukraine, Polen usw." Rohrbach war überzeugt, es genüge, diese "Gebietsteile ... voneinander abzulösen und ihnen eine gewisse Autonomie zu geben", um "dem russischen Großreiche ein Ende zu bereiten".[3] Sein Konzept wurde oft auch als "Dekompositionstheorie" bezeichnet.
Kampfmittel Insurgierung
In ein operatives Stadium ging der von Rohrbach prägnant formulierte Plan schon in den ersten Wochen des Ersten Weltkriegs über. In einem Erlass vom 11. August 1914 verkündete der Berliner Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, man strebe - als "Kampfmittel gegen Rußland" - die "Insurgierung" unter anderem der Ukraine an. Wenig später bestätigte der Außenminister des Habsburgerreichs, "daß sowohl unser wie Deutschlands Hauptziel die möglichste Schwächung Rußlands ist. Wir hoffen daher, die Befreiung der Ukraine und der anderen durch Rußland unterdrückten Völker an unseren Grenzen zu erwirken."[4] Das Vorhaben, Russland zu zerteilen, bot nicht zuletzt erhebliche innenpolitische Chancen. Zum einen konnte man mit ihm traditionelle antirussische Ressentiments in der deutschen Bevölkerung bündeln; zum anderen gelang es, die militärische Aggression als Kampf gegen den Despotismus des Zarenreichs zu etikettieren und damit auch zurückhaltendere Kreise für den Waffengang zu gewinnen. "Der antizaristische Effekt der Sozialdemokratie" sei "ein wesentliches Moment gewesen, um ihr das Eintreten für den Krieg zu erleichtern", hielt 1961 der Historiker Fritz Fischer in seiner bahnbrechenden Studie "Griff nach der Weltmacht" fest.[5]
General Wilhelm Groener |
Befreit und unter Kontrolle
Dazu passend wurden die Formulierungen in deutschen Kriegszieldenkschriften gewählt. So plädierte beispielsweise der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger im September 1914 dafür, für die "Befreiung" der "nichtrussischen Völkerschaften vom Joch des Moskowitertums" und für die Schaffung von "Selbstverwaltung" im "Innern der einzelnen Völkerschaften" zu kämpfen. Er vergaß dabei jedoch nicht hervorzuheben, "all dies" habe "unter militärischer Oberhoheit Deutschlands" zu geschehen. Erzberger ließ ebensowenig unerwähnt, dass "Befreiung" und "Selbstverwaltung" unter bewaffneter deutscher Kontrolle nicht nur der wirtschaftlichen Durchdringung der Ukraine, sondern auch einem klar definierten geostrategischen Ziel dienten: Es gehe darum, schrieb er, "Rußland sowohl von der Ostsee als auch vom Schwarzen Meer abzuschließen".[6]
Wechselnde Marionetten
Anfang 1918 gelang es Berlin zum ersten Mal, sein strategisches Ziel zu realisieren. Am 9. Februar 1918 schloss das Deutsche Reich einen Vertrag mit der ukrainischen Zentral-Rada, die soeben erst die Eigenstaatlichkeit der Ukraine proklamiert hatte und prompt Berlin gegen Russland zu Hilfe rief. Das Deutsche Reich übernahm in Kiew de facto die Kontrolle; man werde allerdings "die Fiktion aufrecht" erhalten, "als ob die ukrainische Rada" regiere, kündigte General Wilhelm Groener, der tatsächliche Machthaber über die Ukraine von Ende März bis Ende Oktober 1918, an.[7] Als sich allerdings zeigte, dass die eher liberal bis sozialdemokratisch orientierte Zentral-Rada nicht in der Lage war, die Berliner Pläne für die Ukraine umzusetzen, da brachten die Deutschen in Kiew den Großgrundbesitzer Pavlo Skoropadski per Umsturz an die Macht - einen Vertreter reicher, in der verarmten Landbevölkerung höchst unbeliebter Kreise. Prompt kam es zu Revolten, wie es zuvor Revolten gegen die Zarenherrschaft gegeben hatte; Berlin ließ sie brutal niederschlagen. Damit hatten die Deutschen ihre vollkommene Gleichgültigkeit gegenüber den inneren Verhältnissen in der angeblich zu "befreienden" Ukraine noch zuverlässig dokumentiert, bevor sie den Ersten Weltkrieg und mit ihm auch die Kontrolle über Kiew verloren.
Weitere Berichte und Hintergrundinformationen zur aktuellen deutschen Ukraine-Politik finden Sie hier: Protestbündnis für Europa, Probleme der Ostexpansion, Ein breites antirussisches Bündnis, Termin beim Botschafter, Expansiver Ehrgeiz, Zukunftspläne für die Ukraine, Unser Mann in Kiew, Die militärische Seite der Integration, Integrationskonkurrenz mit Moskau, In die Offensive, Die Expansion europäischer Interessen, Nützliche Faschisten, Oligarchen-Schach, Der Mann der Deutschen, Koste es, was es wolle, Vom Stigma befreit, Testfeld Ukraine, Der Krim-Konflikt und Kiewer Zwischenbilanz.
Noten
[1] S. dazu Oligarchen-Schach.
[2] Kiew ruft die Oligarchen. www.n-tv.de 05.03.2014.
[3] Walter Mogk: Paul Rohrbach und das "Größere Deutschland". Ethischer Imperialismus im Wilhelminischen Zeitalter. München 1972.
[4] Zitiert nach: Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1961.
[5] Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1961.
[6] Zitiert nach: Fritz Fischer: Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18. Düsseldorf 1961.
[7] Winfried Baumgart: General Groener und die deutsche Besatzungspolitik in der Ukraine 1918. In: Geschichte 6/1970, S. 325-340.
Danke German-Foreign-Policy.com
Quelle: http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58816
Erscheinungsdatum des Originalartikels: 07/03/2014
Artikel in Tlaxcala veröffentlicht: http://www.tlaxcala-int.org/article.asp?reference=11641