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Geheucheltes Lob für Mandelas Vermächtnis

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Pepe Escobar
Information Clearing House
Hütet euch vor Fremden, die Geschenke verteilen! Solche "Geschenke" sind auch die überschwänglichen Nachrufe auf Nelson Mandela. Als "Fremde" sind dabei die 0,0001 Prozent der die ganze Welt beherrschenden (Finanz)-Elite zu verstehen, die alles unter Kontrolle haben – natürlich auch die Medien.

Mit den stapelweise in den USA, in Israel, in Frankreich, in Großbritannien und in anderen westlichen Staaten verfassten heuchlerischen Würdigungen Mandelas wäre ein neuer Turmbau zu Babel möglich.

Unter diesem Turm soll vor allem die Schuld des Westens begraben werden, der das Apartheid-Regime in Südafrika gesponsert und (gegen alle berechtigte Kritik) verteidigt hat, bis es an seinen inneren Widersprüchen zerbrochen ist. Für den Westen waren nur das Funktionieren des kapitalistischen Wirtschaftssystems, die zahlreichen Bodenschätze Südafrikas und die Rolle Pretorias im "Kampf gegen den Kommunismus" wichtig – die Apartheid war bestenfalls ein Ärgernis.

Mandela wird von den 0,0001 Prozent jetzt vor allem deshalb heiliggesprochen, weil er den weißen Unterdrückern, die ihn 27 Jahre eingesperrt haben, die Hand gereicht und – im Namen der "nationalen Versöhnung"– darauf verzichtet hat, die Mörder des Apartheid-Regimes wie die Nazis vor Gericht zu stellen.

In der Flut meist geheuchelter Huldigungen, mit der die Ikone Mandela von den westlichen Medienkonzernen gnadenlos vermarktet wird, kommt kaum vor, dass sich Mandela strikt geweigert hat, den bewaffneten Kampf gegen die Rassentrennung zu verurteilen – hätte er das getan, wäre er wohl kaum 27 Jahre lang weggesperrt worden; auch seine Dankbarkeit gegenüber Kuba und Fidel Castro, der die Menschen in Angola, in Namibia und in Südafrika in ihrem Widerstand gegen die Rassentrennung immer unterstützt hat, und seine eigene Unterstützung des Befreiungskampfes der Palästinenser werden in den Nachrufen nicht erwähnt.

Vor allem junge Menschen müssen erfahren, dass jeder, der sich während des Kalten Krieges für die Befreiung seines unterdrückten Volkes eingesetzt hat, sofort als ("Kommunist" oder) "Terrorist" diffamiert wurde; auch im Kalten Krieg wurde schon ein gnadenloser "Krieg gegen den Terror" geführt. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurde der Widerstand gegen die Apartheid als moralisch gerechtfertigt angesehen, und Mandela wurde zum weltweit anerkannten Gesicht dieses Widerstandes.

Heute wird verdrängt, dass der konservative Messias Ronald Reagan die afghanischen Mudschaheddin, die heute als Al-Qaida bekämpft werden, als "Freiheitskämpfer" bejubelte und gegen den (vom Kongress verabschiedeten) Comprehensive Anti-Apartheid Act (mit dem Sanktionen gegen das Apartheid-Regime in Südafrika beschlossen wurden,) sein Veto einlegte, weil Washington den Afrikanische Nationalkongress / ANC immer noch als "kommunistische Terrororganisation" eingestuft hatte.

Gegen die Sanktionen stimmte damals auch Dick Cheney, ein republikanischer Kongressabgeordneter aus Wyoming, der zu einer finsteren Gestalt wie Darth Vader aus Star Wars geworden ist (und sein damaliges Abstimmungsverhalten bis heute verteidigt). Die israelische Regierung hat Pretoria sogar eine ihrer Atombomben angeboten – vermutlich zur Auslöschung aller "afrikanischen Kommunisten".

Als Mandela 1990 als freier Mann die USA besuchen konnte, lobte er Fidel Castro, den PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat und Oberst Gaddafi öffentlich als seine "Kampfgenossen": "Es gibt überhaupt keinen Grund, das Engagement dieser Männer für die Menschenrechte anzuzweifeln." Washington und die Wall Street schäumten vor Wut.

Und als sich Anfang 2003 die Invasion des Iraks und die Ausweitung des "Krieges gegen den Terror" abzeichneten, erklärte Mandela: "Wenn ein Staat anzuklagen ist, weil er auf der ganzen Welt unbeschreibliche Gräueltaten begangen hat, dann sind das die Vereinigten Staaten von Amerika." Deshalb muss man sich nicht wundern, dass Mandela noch bis 2008 auf einer Liste der US-Regierung als Terrorist geführt wurde.

Vom Terroristen zum Heiligen

Anfang der 1960er Jahre – als es auch im Süden der USA noch Rassentrennung gab – war kaum vorherzusehen, dass der in seinem Clan "Madiba" genannte Mandela – ein eitler Rechtsanwalt mit autoritären Charakterzügen, der sich auch schon als Boxer betätigt hatte – einmal Gandhis Strategie der Gewaltlosigkeit übernehmen und so viel erdulden würde, um die Gesellschaft Südafrikas umzugestalten. Aber der Nimbus des "Unbesiegbaren" muss ihn schon damals umgeben haben.

Zur faszinierenden Komplexität Mandelas gehört auch, dass er schon immer demokratischer Sozialist und keinesfalls Kapitalist war. Er war aber kein Pazifist, sondern sah ganz im Gegenteil Gewalt als letztes Mittel (zur Durchsetzung gerechter Ziele) an. In seinen Büchern und zahlreichen Reden gab er auch immer wieder Fehler zu. Über die schmeichlerischen Nachrufe würde er sich ganz sicher lustig machen.

Ohne Mandelas erfolgreichen Kampf gegen die Diskriminierung der Schwarzen hätte Barack Obama niemals ins Weiße Haus einziehen können; Obama hat einmal berichtet, seine erste politische Aktivität sei die Teilnahme an einer Demonstration gegen die Apartheid gewesen. Zur Klarstellung muss aber gesagt werden: Mister Obama, Sie sind kein Nelson Mandela.

Bild: Wikimedia, public domain
Der äußerst komplizierte Prozess des "Zusammenbruchs" der Politik der Rassentrennung lässt sich kurz so zusammenfassen: Das Apartheid-Regime versank in einem Sumpf aus Korruption und überhöhten Militärausgaben und drohte durch die wachsende Unzufriedenheit in den Townships zu explodieren. Als die kubanischen Kämpfer Fidel Castros die von den USA unterstützte südafrikanische Armee in Angola und Namibia besiegten und Südafrika die Kredite des Westens nicht mehr bedienen konnte, ging das Regime bankrott.

Die besten und klügsten Revolutionäre Südafrikas saßen wie Mandela im Gefängnis, waren im Exil, wurden wie Steve Biko ermordet oder wurden – wie in Lateinamerika – von Todesschwadronen "beseitigt". Der eigentliche Freiheitskampf fand außerhalb Südafrikas in Angola, Namibia und in den erst später befreiten Nachbarstaaten Mozambique und Simbabwe statt.

Schon im März 1988 schrieb Mandela aus dem Gefängnis: "Ohne die Unterstützung Kubas können unser Kontinent und mein Volk nicht von der Geißel der Rassentrennung befreit werden." Das wird aber keiner der 0,0001 Prozent jemals zugeben.

Angesichts der herannahenden Katastrophe witterte das vom Westen unterstützte Apartheid-Regime seine letzte Chance: Warum sollte es nicht mit dem Mann verhandeln, den es seit 1962 von der Außenwelt isoliert hatte? Die Welle der Befreiungskriege in der Dritten Welt musste auslaufen; die sozialistischen Revolutionen in Südamerika waren schon gestoppt; 1967 hatte Che Guevara in Bolivien und 1973 beim Staatsstreich in Chile Allende das Leben verloren, aber nun drohten in ganz Afrika neue Befreiungskriege.

Mandela musste nicht nur das bedenken, sondern auch den Fall der Berliner Mauer und das Ende der Staatsform berücksichtigen, die bei europäischen Intellektuellen "realer Sozialismus" hieß. Vor allem aber musste er einen Bürgerkrieg in Südafrika und den totalen wirtschaftlichen Zusammenbruch seines Landes verhindern.

Das Apartheid-Regime war gerissen genug, sich mit tatkräftiger Unterstützung des Internationalen Währungsfonds / IWF die Kontrolle über die Zentralbank und den Handel Südafrikas zu sichern. Mandela konnte zwar einen politisch wichtigen Wahlsieg erringen, musst aber hinterher erkennen, dass der ANC bei der Regierungsübernahme gelinkt worden war. Sein sozialistisches Ziel, den Bergbau und das Bankwesen zu verstaatlichen und die Gewinne daraus der einheimischen Bevölkerung zukommen zu lassen, konnte er vergessen, weil sich beide im Besitz des westlichen Kapitals befanden. Der Westen hätte eine Enteignung niemals zugelassen. Und um alles noch schlimmer zu machen, wurde der ANC von einer korrupten Clique übernommen.

Was ist und muss geschehen?

John Pilger hat nachgewiesen, das die wirtschaftliche Apartheid in Südafrika nur ein neues Gesicht bekommen hat.

Patrick Bond hat die wohl beste Einschätzung der Mandela-Jahre und ihres Erbes geschrieben.

Ronnie Kasrils hat ein mutiges Schuldbekenntnis zu dem Teufelspakt zusammengestellt, auf den sich Mandela und der ANC mit den üblichen Verdächtigen eingelassen haben.

Als Ergebnis ist festzuhalten: Mandela hat zwar die Apartheid beseitigt, hat sich aber vom Neoliberalismus hereinlegen lassen. Das ist das schmutzige Geheimnis seiner Heiligsprechung.

Wie könnte die Zukunft aussehen? Achille Mbembe, der aus Kamerun stammende Historiker und Professor für Politikwissenschaft, ist einer der führenden Intellektuellen Afrikas. In seinem Buch "Critique de la raison nègre (Kritik der schwarzen Vernunft), das kürzlich in Frankreich veröffentlicht wurde und noch nicht in Englisch vorliegt, lobt er Mandela und betont, dass die Afrikaner dringend neue Formen der Führung entwickeln müssen, wenn sie sich in dieser Welt behaupten wollen. "Madiba" hat den Weg gezeigt. Jetzt bräuchte Afrika nicht nur einen oder zwei, sondern tausend Mandelas.

Pepe Escobar ist Reise-Korrespondent der in Hongkong erscheinenden Asia Times, arbeitet als Analyst für Russia Today / RT und TomDispatch, schreibt auch Beiträge für andere Websites und ist häufig in Rundfunksendungen zu hören, die von den USA bis nach Asien ausgestrahlt werden.

Übersetzung: Wolfgang Jung, luftpost-kl.de

Mehr zum Thema:
Nelson Mandela: Rede in Kuba, Juli 1991.....

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