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"Gesetzwidrige Befehle" beim Militär US-Kriegsverbrechen und der Prozess gegen Bradley Manning

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Bild: My Lai Massaker, Wiki, public domain
Von Timothy V. Gatto
Global Research, 27.07.13

Nachdem Details über die Zerstörung des vietnamesisches Dorfes My Lai und die Ermordung zahlreicher Männer, Frauen und Kinder durch US-Soldaten bekannt geworden waren und das Militär in Leutnant Calley einen Sündenbock gefunden hatte, den es für das Massaker verantwortlich machen konnte, wurden wir Army-Soldaten immer wieder belehrt, wann wir Befehle zu befolgen oder zu verweigern hätten. Uns wurde gesagt, dass es rechtmäßige und gesetzwidrige Befehle gebe, und dass die Ausführung gesetzwidriger Befehle – nun – auch gesetzwidrig sei. Wenn ein gemeiner Soldat einen Befehl befolge, von dem er wisse, dass er gesetzwidrig sei, werde nicht nur der befehlende Offizier, sondern auch der diesen Befehl ausführende Soldat dafür zur Verantwortung gezogen.

Das klang sehr gut, in Wirklichkeit war es aber – wie die Briten sagen – "nur ein klebriges Schlupfloch" (ein Hintertürchen für die Army-Führung). Beim Militär wird den Soldaten beigebracht, dass sie jeden Befehl sofort auszuführen haben und Fragen nach dessen Rechtmäßigkeit – wenn überhaupt – erst hinterher stellen dürfen. Im Kampf auf dem Schlachtfeld, wenn außer dem eigenen Leben auch das der Kameraden auf dem Spiel steht, ist es besser, Befehle zu befolgen, weil man sonst sein eigenes Leben riskiert. Man sagte uns: "Im Nebel des Krieges inmitten der Schlacht" wisse der Kommandierende gewöhnlich – wenn auch nicht immer – am besten, was zu tun sei.

Immer wieder fanden Belehrungen über "gesetzwidrige Befehle" statt, und man ließ uns sogar darüber diskutieren. Heute weiß ich, dass das nur eine Reaktion auf die schlechte Presse nach Bekanntwerden des Massakers von My Lai war – um die Öffentlichkeit zu beruhigen und die Moral der Soldaten zu heben, die sich für die vielen vom US-Militär in Vietnam begangenen Gräueltaten schämten. Damit wollte man der Öffentlichkeit und der Truppe nur weismachen, dass die Militärführung erst jetzt auf die unbeschreiblichen Verbrechen in diesem Krieg aufmerksam geworden sei und etwas dagegen zu unternehmen versuche. In Wirklichkeit war das ganze Getue nur eine Propaganda-Aktion.

Man brachte den Soldaten bei, dass sie, wenn etwas verlangt wurde, das ihrer Meinung nach gegen die Genfer Konventionen oder das Kriegsrecht verstieß, bei einem höheren Vorgesetzten Meldung darüber machen sollten. Wenn dazu keine Zeit blieb, sollten sie den Befehl verweigern und nach Möglichkeit auch andere davon abbringen, ihn auszuführen. Das klingt alles sehr vernünftig, aber beim Militär geht das manchmal nicht so glatt, wie man sich das wünscht.

Heutzutage haben wir Streitkräfte, die seit über einem Jahrzehnt in Kampfhandlungen verwickelt sind. Die meisten der (in dieser Zeit durchgeführten) Invasionen und Operationen waren selbst nicht mit den Genfer Konventionen vereinbar. Die US-Soldaten befanden sich also bei allen Einsätzen in einer Zwangslage. Bei ihrer Einschreibung mussten sie den Diensteid ablegen, der sie dazu verpflichtet, die Befehle der vorgesetzten Offiziere zu befolgen und die Verfassung gegen alle inneren und äußeren Feinde zu verteidigen; deshalb standen sie immer vor der Frage, ob sie die Befehle der Offiziere auch dann auszuführen hatten, wenn die USA (mit ihren Invasionen) sowohl gegen ihr eigenes Recht als auch gegen das Völkerrecht verstießen?

In dieser Situation erhielt ein Private First Class (ein Obergefreiter der U.S. Army,) Zugang zu sensiblen Informationen, aus denen unbezweifelbar hervorging, dass die US-Streitkräfte Gräueltaten und Verbrechen zuließen, die nicht nur gegen ihre Dienstvorschriften, sondern auch gegen das Militärrecht und die Genfer Konventionen verstießen. Das geschah während einer Periode, in der das US-Militär ein Verbrechen nach dem anderen beging, indem es die Massenvernichtungswaffe "Depleted Uranium" (DU-Munition, weitere Infos dazu hier) einsetzte und – wie in Falludscha– ganze Städte durch Luftangriffe, Artillerie- und Panzerbeschuss verwüstete, und rücksichtslos und vorsätzlich Männer, Frauen und Kinder umbrachte.

Heute werden unseres Wissens Soldaten nicht mehr aufgefordert, solche Verbrechen ihren Vorgesetzten zu melden. In den üblich gewordenen unerklärten US-Kriegen gegen andere Staaten, die man beschönigend "Kriege gegen den Terror" nennt, werden Verbrechen gewohnheitsmäßig begangen. Die Soldaten befolgen offensichtlich täglich gesetzwidrige Befehle, weil ihnen eingeredet wird, "sie täten nur ihre Pflicht".

Dieser Obergefreite war in einem schrecklichen Dilemma. Durch seinen Zugang zu sensiblen Informationen konnte er sich ein umfassendes Bild von dem machen, was in Wirklichkeit vorging; er musste erkennen, dass im Namen des Staates, dem er diente, tatsächlich schwere Kriegsverbrechen begangen wurden. Als er das seinen Vorgesetzten meldete wurde er einfach ignoriert. Das ist die Realität, die viele Soldaten erleben, wenn sie mit dem Krieg und all seinen schrecklichen Folgen konfrontiert werden.

Was den kleinen Obergefreiten von allen anderen Soldaten unterscheidet, ist sein Entschluss, diese Verbrechen bekannt zu machen. Nach allem, was ich über das Massaker von My Lai, seine Folgen und die Entwicklung bis heute gesagt habe, ist sein mutiges Verhalten als beispiellos anzusehen. Nach Aussagen der US-Regierung ist der Feind, dem wir heute ins Gesicht sehen, schrecklicher und gefährlicher als alle anderen, mit denen wir es jemals zu tun hatten. Haben diese Islamisten – zumindest wird das behauptet – nicht die Zwillingstürme zum Einsturz gebracht und unschuldige US-Bürger getötet, und "hecken sie nicht ständig neue Terroranschläge" gegen die USA aus? Als der Präsident (Bush) damals sagte: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns", musste das Militär doch die Handschuhe ausziehen.

Bradley Manning muss all seinen Mut zusammengenommen haben, bevor er seine Informationen WikiLeaks zukommen ließ, den einzigen Leuten, denen es nicht gleichgültig zu sein schien, was im Irak geschah. Jetzt steht er vor einem Kriegsgericht, nachdem ihn das Militär vorher wie ein Tier monatelang nackt in Einzelhaft in einer kalten, dunklen Zelle gefoltert hat – unter Missachtung aller Bestimmungen, die das Kriegsrecht und die Genfer Konventionen für die Behandlung von Gefangenen vorschreiben.

Den größten Teil der Argumente, die zu seiner Verteidigung vorgebracht wurden, hat das Kriegsgericht als unzulässig zurückgewiesen und ihn damit wehrlos dem US-Militär ausgeliefert, das seine Soldaten einmal öffentlich aufgefordert hatte, Verstöße gegen die Genfer Konventionen oder das Kriegsrecht bei einem höheren Vorgesetzten zu melden und diese Verstöße, wenn möglich, zu stoppen. Der Obergefreite hatte die Verstöße gemeldet, war aber auf taube Ohren getroffen.

Jetzt wird er dafür bestraft, dass er alles richtig gemacht hat – nicht nur aus seinem eigenen Rechtsempfinden heraus, sondern die Dienstvorschrift befolgend, die von der U.S. Army einmal für ihre Soldaten erlassen wurde.

Die Zeiten haben sich eben geändert. Was früher Krieg hieß, ist heute eine Verteidigungshandlung; dass Überfälle auf andere Staaten gegen das Völkerrecht und die Genfer Konventionen verstoßen, ist nicht mehr relevant. Manning hat eine Videoaufzeichnung weitergegeben, auf der zu sehen und zu hören ist, wie der Beobachter in einem Apache Kampfhubschrauber dazu auffordert, auf Journalisten zu schießen, die mit ihren Kameras eine Stadtstraße entlang gehen; als sie getroffen am Boden liegen und andere Menschen ihnen zur Hilfe kommen, wird der Apache-Besatzung befohlen, auch auf die Helfer zu feuern. Manning hat dafür gesorgt, dass die Welt das zu sehen bekam. Die für diese Untaten Verantwortlichen wurden bisher nicht angeklagt.

Es ist Bradley Manning, der für ihre Verbrechen büßen muss. Das US-Militär verurteilt ihn, um allen US-Soldaten klarzumachen, dass Gewissensbisse und Gesetzestreue im Krieg nicht mehr geduldet werden. Das ist die eigentliche Absicht, die mit dem Prozess gegen Bradley Manning verfolgt wird.

Übersetzung: Wolfgang Jung, luftpost-kl.de

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